Aus dem Stadtrat vom 31.3.: kostenfreies Vorschuljahr

Wir glauben eigentlich nicht, dass es Überzeugungsarbeit braucht, um die Sinnhaftigkeit eines elternbeitragsfreien Bildungsjahres in der Kita aufzuzeigen. Schließlich hat vor reichlich zwei Jahren der Stadtrat mehrheitlich der Einführung des kostenfreien Vorschuljahres zugestimmt und dies für eine gute und unterstützenswerte Angelegenheit befunden.

Und das ist es auch, aus mehreren Gründen:

Wenn man den Sächsischen Bildungsplan ernst nimmt und die Kita als Ort der Bildung begreift, dann ist es äußerst sinnhaft, allen Kindern den kostenfreien Zugang zur Bildung im Vorschulalter zu gewähren. Und zwar unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten der Eltern. Das letzte Kita-Jahr bereitet den Übergang zur Schule vor und nimmt die zukünftigen Schulanfänger_innen besonders in den Blick. Egal ob in offenen oder geschlossenen Konzepten: in dieser Transitionsphase werden soziale Kompetenzen erlangt, die Sprache entwickelt sich noch einmal immens, gleiches gilt für die motorischen Fähigkeiten. Im Unterschied zur Schule erfolgt dies weitestgehend spielerisch und bewertungsfrei.

Weshalb das wichtig ist, belegen die Ergebnisse der Einschulungstests für das Schuljahr 2019/20 im Freistaat Sachsen: lediglich bei 17 Prozent der untersuchten Kinder wurden keine Beeinträchtigungen in Bezug auf die Schulfähigkeit festgestellt.  Rund 71 Prozent der untersuchten Kinder wiesen ein, zwei oder drei Befunde auf, welche die Schulfähigkeit beeinträchtigen. Am häufigsten wurden Störungen  im Bereich „Sprache/Sprechen“ und im Bereich der „Visuomotorik“ festgestellt (Auge-Hand-Koordination).

Noch einmal anders verdeutlicht: 1/3 der Vorschulkinder kann nicht richtig sprechen und jedes fünfte Kind weist Schwierigkeiten in der Koordination von Auge und Hand auf (Statistisches Landesamt 2021, Faktenblatt Sprache/Sprechen).

Wenn nun alle Chemnitzer Kinder in den Genuss eines kostenfreien Vorschuljahres kommen würden, kann dies auch die eben benannten Ungleichheiten bei den kognitiven Fähigkeiten zum Schulstart nivellieren. Die Chemnitzer Zahlen aus der Antwort unserer Informationsanfrage IA 004/2021 sprechen auch hier eine deutliche Sprache: von den bislang 1551 erfolgten Schuleingangsuntersuchen haben 230 zu Rückstellungen geführt.

Ein weiteres Argument für die Beibehaltung der Kostenfreiheit im letzten Kita-Jahr ist ein wirtschaftliches: möglicher Weise entscheiden sich Eltern gegen einen Umzug nach Chemnitz, wenn sie in der näheren Umgebung, wie bspw. in Zwickau, die Möglichkeit haben, ihre Kinder kostenfrei betreuen zu lassen. Chemnitz kann es sich nicht leisten, auf diesen möglichen Standortvorteil zu verzichten.

Die Einführung des kostenfreien Vorschuljahres würde, ganz im Gegensatz zu einigen heute zu verhandelnden Anträgen, einer breiten Bevölkerungsschicht ganz konkret und zählbar zugutekommen: Im letzten Kindergartenjahr haben 2.305 Kinder mit ihren Eltern im von der Beitragsfreiheit im Vorschuljahr profitiert. Wir sprechen also von ca. 6362 Menschen (2305 Kinder + 4610 Mütter und Väter 553 Alleinerziehende à 24 % Alleinerziehende). Von einer ähnlichen Größenordnung ist auch in den nächsten Jahren auszugehen, so dass mit dem zu beschließendem Zweijahreshaushalt ca. 13.000 Menschen ganz konkret erreicht werden würden.

Von der Beitragsfreiheit würden übrigens vor allem die Familien einen finanziellen Nutzen ziehen, die gerade so eben keine Unterstützungsleistungen nach dem SGB II bekommen und damit nicht automatisch von der Elternbeitragszahlung befreit sind. Dass es sich hier nicht um bedauerliche Einzelfälle handelt, zeigt folgender Fakt: Eine vor wenigen Wochen erfolgte Anfrage des Stadtelternrates an die Freien Träger von Kindertagesstätten zur Anzahl der Mahnungen an Familien, welche im Rückstand bei der Zahlung der Elternbeiträge sind, ergab, dass letztes Jahr ca. 1.100 Mahnungen ausgesprochen wurden. Bei dieser Zahl handelt es sich (wohlbemerkt) um die Antwort EINES Trägers.

Dass meine Fraktion mit ihrer Forderung nach einem beitragsfreien Vorschuljahr nicht alleine steht, zeigen u.a. auch die Stellungnahme des Stadtelternrates vom 07.02.2021, Briefe von Eltern an die Fraktionen und nicht zuletzt die Kommentare von Chemnitzer Bürgerinnen und Bürgern zur Ankündigung der Abschaffung des kostenfreien Vorschuljahres in den Medien. Verständnis für die Abschaffung findet man dort nicht.

Die Fraktion DIE LINKE/Die Partei hat sich stets und schon sehr lange für die Beibehaltung des kostenfreien Vorschuljahres positioniert und stark gemacht.

Umso enttäuschter sind wir, dass die gute Idee des beitragsfreien Vorschuljahres keinen Einzug in den Haushaltsplanentwurf gehalten hat. Ganz im Gegenteil, rein rechnerisch geht der Haushaltsplanentwurf von einer Erhöhung der Elternbeiträge in diesem Jahr aus. Zu unserer Enttäuschung kommt noch hinzu, dass die von uns angedachte Deckungsquelle, die Liquiditätsreserve, leider als unzulässig deklariert wurde. Mit großer Traurigkeit und noch größerem Bedauern ziehen wir deshalb diesen Antrag und den dazugehörigen Folgeantrag (ÄA-116/2021) zurück.

 

Nachtrag:

Auch andere Fraktionen brachten sich mit unterschiedlichen Ideen und Finanzierungsvorschlägen zum kostenfreien Vorschuljahr ein. Diesen Anträgen konnten wir jedoch  aus folgenden Gründen nicht folgen: Erstens, weil sie nicht weit genug gingen und kaum finanzielle Entlastung für Eltern gebracht hätten. So war das von der LINKEN/Die PARTEI vorgesehene Finanzvolumen für die kommenden Haushaltsjahre mit insgesamt 3,3 Millionen Euro angesetzt. Die SPD hatte 400.000 € vorgeschlagen. Wie wenig finanzielle Entlastung dabei direkt bei den Eltern angekommen wäre, liegt auf der Hand. Ein weiterer Vorschlag kam mit insgesamt 750.000€ von der AfD. Auch hier kann bei weitem nicht von einem wirklich kostenfreien Vorschuljahr gesprochen werden. Zudem kommt noch hinzu, dass durch den Finanzierungsvorschlag der AfD ein Projekt aus dem Jugendhilfebereich gestrichen worden wäre, welches uns sehr am Herzen liegt.