Aus dem Stadtrat vom 30.1.: Fraktionserklärung

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“

Am heutigen 30. Januar jährt sich zum 86. Mal die Machtergreifung Hitlers und seiner NSDAP. Die Macht wurde ihnen vom Großkapital, der Reichswehr und den politisch Unfähigen praktisch angedient. Es begannen 12 Jahre beispielloser Verbrechen in der Geschichte der Menschheit.

Wenige, Sozialdemokraten und Kommunisten, christlich und liberal Denkende, Juden im Warschauer Ghetto, Russen in Leningrad, die Offiziere des 20. Juni und viele andere leisteten Widerstand, opferten ihr Leben.
Wir haben am vergangenen Sonntag ihrer gedacht.

Die Mehrheit jedoch, damals, oft auch unsere Väter und Großväter, ordnete sich dem unter – durch Wegsehen, Wegducken, Verharmlosen.
Und? Das Ergebnis? Die niedergebrannte Synagoge an der Reichsstraße, unsere am 5. März 1945 zerbombte Stadt, in KZs Deportierte und durch den Krieg zerstörte zehntausende Chemnitzer Familien!

Und dieser fruchtbare Schoß, von dem Bertold Brecht in seinem „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, spricht? Nur ein Phantom?
Antisemitismus – als Beispiel – wird auch in unserer Stadt vielfältig und zunehmend zum Alltag. 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz muss die Polizei die neue Synagoge an der Stollberger Straße schützen. Eigentlich ein historischer Skandal, genauso wie die Ereignisse im vergangenen August.

1933 war alles Fremde das Übel, was dann in Gaskammern vernichtet wurde. Wenn 2019 im Gästebuch von Buchenwald nicht mehr die Existenz von Gaskammern geleugnet wird, sondern aufgerufen wird, diese wieder in Betrieb zu nehmen, dann dürfen wir nicht mehr wegsehen und uns auf die Meinungsfreiheit laut Grundgesetz zurückziehen. Heute ist das Fremde ein anderes Fremdes. Seien wir wachsam und lassen es nicht zu, dass aus Fremdenhass wieder mehr wird.

Ich finde es immer wieder beachtlich, dass unsere Stadt Schülern die finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, ein Konzentrationslager zu besuchen. Denen, die da waren, ob in Buchenwald oder Nordhausen, werden die Ausmaße der Verbrechen der Nazis in erschreckender Weise deutlich und sind hoffentlich Mahnung an die junge Generation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir Mitglieder der Demokratie verfechtenden Fraktionen wissen:
Das Gedenken an die Opfer der Nazis wie am Sonntag ist vielen Chemnitzern ein Bedürfnis. Dass dabei viele Jugendliche anwesend waren, ist Hoffnung für die Zukunft.
Gedenken ist wichtig, wenn es nicht zu einem bloßen Ritual von ein paar Hundert Bürgerinnen und Bürgern wird! Gedenken darf aber nicht der Ersatz für Handeln sein. Es wird tausendmal notwendiger, weil sonst die Gesellschaft weiter nach „rechts“ abgleitet, so wie es damals die Nazipropaganda schaffte.

In diesem Jahr haben wir in Sachsen dazu die Nagelprobe, drei Wahlen. Wenn wir wollen, dass dabei die Demokraten im Stadtrat, im Landtag und im europäischen Parlament erneut die Mehrheit erlangen und die weitere Geschichte bestimmen, dann sollten wir, ungeachtet aller parteiprogrammatischen Unterschiede zusammen unsere Stadt vor Leuten wie Kohlmann im Bunde mit Poppenburg oder vor dem populistischen Gift der ganz Rechten in der AfD, wie Höcke, Storch oder Weidel schützen.

Und das heißt: Respektvoller Umgang untereinander und ein demokratisches faires Miteinander zwischen den Fraktionen; wissend: Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheitert, daß es zu früh zu viele Nazis gab, sondern daß zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren. (R. von Weizsäcker)

Machen wir nicht in den nächsten Wochen und Monaten erneut diesen Fehler, ziehen wir aus dem Jahr 1933 die richtigen Schlußfolgerungen!