Aus der Stadtratssitzung vom 18. Mai: Richtlinie über die finanzielle Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann B‑231/2021

Mit reichlicher Verzögerung können wir nun endlich über die Förderrichtlinie zur Gleichstellung sprechen und abstimmen.

Zunächst ist es eher löblich, dass die Richtlinie aus der Gleichstellungsstelle kommt. Dennoch es mir ein wichtiges Anliegen, trotz der Dringlichkeit der Umsetzung, auf wesentliche Änderungswünsche und Kritikpunkte einzugehen. Weshalb ich Ihnen und Euch die Änderungen der einreichenden Fraktionen erläutern möchte.

Mit dem Stand vom 30.6.2021 lebten von ca. 245 000 Menschen 123 000 Frauen und 120 000 Männer in der Stadt Chemnitz. Was nicht erhoben wurde sind jene, die sich weder als Mann noch als Frau definieren oder sich ein bestimmtes Geschlecht oder Identität zuschreiben. Wie unterschiedliche Quellen und wissenschaftliche Studien zeigen, herrscht bei der Änderung bzw. Angabe des Geschlechtszuschreibung „divers“ eher eine Zurückhaltung wenn es um die Geschlechtsangabe geht. Bereits die Untersuchung zur Erlangung des ärztlichen Attests zur Änderung kann bei betroffenen Menschen, die in der Vergangenheit in eine Normgeschlechtlichkeit hineinbehandelt und sozialisiert wurden, zu einer Retraumatisierung führen oder die Chance weiterhin und verstärkt Diskriminierungen ausgesetzt zu sein steigt erheblich. So bildet auch leider die vorliegende Richtlinie weder die Lebensrealität vieler ab, noch ist sie gendersensibel oder gleichstellungspolitisch korrekt. Wer heutzutage immer noch nur von Männern und Frauen schreibt und spricht, verkennt das eigentliche Ziel von Gleichstellung. Vor allem FLINTA, das bedeutet Frauen, Lesen, Inter, Trans und Agenderpersonen befinden sich in vielen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen in einer Nichtberücktsichtigung. In der praktischen Integration und Inklusion intersexueller Personen innerhalb der Kommune gehört es eben dazu, auch die Sprache und Schrift aber vor allem auch das Handeln und die finanzielle Förderung an jede Gruppe anzupassen und niemanden zu isolieren.

Eine finanzielle Förderung eines Frauenzentrums in der Stadt Chemnitz soll insbesondere einen Raum zur Auseinandersetzung, des Lernens, der Beratung und des Austausches dienen. Unabdingbar ist es dabei, ebenso einen Schutzraum für LGBTQ zu schaffen.

Nach mehreren Gesprächen und Austausch zwischen den Mitarbeiterinnen der Lila Villa, Stadträtinnen und der Gleichstellungsbeauftragten, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es weiterhin Handlungs- und Änderungsbedarf hinsichtlich des Inhalts und der sprachlichen Ausgestaltung der Vorlage gibt. Dass ist sehr bedauerlich.

Deswegen halten wir, die einreichenden Fraktionen des ÄA, es als unabdingbar mit einschlägigen Akteur*innen der Stadt, Vereinen und Verbänden die Richtlinie bis spätestens Ende 2023 zu evaluieren und zu überarbeiten und das bereits jetzt, der Beschlusstext, aufgrund der vorhin genannten Problemfelder, von der binären Bezeichnung absieht und sie zu einer Förderrichtlinie für alle Geschlechter umändert.

Es ist wichtig, dass wir die Förderrichtlinie, wie sie heute besprochen wird, vom Stadtrat angenommen wird, sodass die Arbeit, insbesondere die der Lila Villa, aufgenommen bzw. fortgesetzt wird. Zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Angeboten und als Anlaufstelle für eine Vielzahl von Personen fordern wir deshalb auch dass die Richtlinie bereits zum 1.7. in Kraft tritt. Anderenfalls sind Negativentwicklungen in gleichstellungspolitischen Bereichen in Chemnitz absehbar.

Intersektionale Gleichstellung ist wichtig für die Lebensqualität und Attraktivität der Kommune. Mit gleichstellungspolitischen Unterstützungen und Forderungen in verschiedenen Politikbereichen, mit Schutzräumen, Beratungsangeboten, dem Ausbau von Angeboten im Gleichstellungsbereich, die für jede und jeden zugänglich sind, erlangen wir als Kommune und schaffen Anreize, in dass Menschen in diese Stadt ziehen. Gerade Chemnitz, ein Stadt zwischen Großstadt und ländlichem Raum, wirken wir der Abwanderung von Menschen, die sich unwohl und unsichtbar fühlen entgegen, Bevölkerungszahlen der Stadt würden weiterhin sinken wenn wir nicht auch dort ansetzen. Chemnitz als Wirtschaftsstandort und Arbeitsmarkt würde an Attraktivität verlieren. — Gerade im Bezug auf letzteres und wenn nun die Wirtschaft Chefsache ist, so kann der Chef ja auch Gleichstellungspolitik zu einer seiner Herzensanliegen machen. Schließlich geht es hier um ein Abbild einer offenen, solidarischen Gesellschaft, die wir als Kulturhauptstadt 2025 sein wollen. Bevor sich aber ein Mann das Thema
unter den Nagel reißt, wäre Druck, eine professionelle Arbeitsweise und Durchsetzungsbereitschaft aus dem Gleichstellungsbüro ein guter Anfang.