Aus dem Stadtrat vom 2.6.: Unterbringungssatzung

Die vom Stadtrat der letzten Legislaturperiode in seiner Sitzung vom 08.11.2017 mit Beschlussnummer B‑139/2017 verabschiedete “Satzung für die Unterbringung von Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten und über deren Gebührenerhebung” gekürzelt Unterbringungssatzung regelt zum einen die Rechtsverhältnisse betreffs der Nutzung von Wohnprojekten, sogenannten Gewährswohnungen, also angemieteten Wohnungen ohne Inventar und Übernachtungsstätten für wohnungslose Menschen, die einzurichten die Stadt Chemnitz als Trägerin der Sozialhilfe und als Ortspolizeibehörde verpflichtet ist.

Zum anderen bestimmt sie die Rechtsverhältnisse an Unterkünften als öffentliche Einrichtungen, die die Stadt Chemnitz als Untere Unterbringungs- und Eingliederungsbehörde, namentlich in Ausführung sozial- und migrationsrechtlicher Vorschriften, unterhält und zwar in Gestalt von Gemeinschaftsunterkünften bzw. Wohnheimen sowie von Wohnungen für dezentrales Wohnen I. Das sind regelmäßig angemietete Wohnungen mit Inventar und Hausrat.

Die letztgenannten Wohnformen verfolgen den Zweck der Aufnahme von Spätaussiedler_innen, Kontigentflüchtlingen, Asylbewerber_innen, geduldeten Ausländer_innen, die der Kommune zugewiesen werden oder aus anderen rechtlichen Gründen unterzubringen sind.

Untergebracht in solchen Wohnformen sind auch bereits anerkannte Flüchtlinge und sonstige Migrantinnen und Migranten und deren Familienangehörige, welche wegen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Folge anerkannter Flüchtlingseigenschaft, Anerkennung als Asylberechtigter oder Anerkennung als Subsidiärschutzberechtigte aus dem Leistungsbezug nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereits ausgeschieden sind, jedoch bis zur Anmietung von eigenem Wohnraum Unterbringungsbedarf haben.

Für diesen gesamten Personenkreis, also Wohnungslose zum einen, Menschen mit Migrationshintergrund in den verschiedensten Rechtsformen bis hin zu bereits anerkannten Aussiedlern, Flüchtlingen oder Asylberechtigten, bestimmt § 5 Abs. 7 in der jetzigen Fassung, dass Bedienstete des Sozialamtes der Stadt Chemnitz und durch das Sozialamt beauftragte Dritte Zitat: … grundsätzlich jederzeit auch unangekündigt berechtigt sind, die Räumlichkeiten der Nutzerinnen/des Nutzers “zu öffnen und zu betreten”.

Und genau das geht nach unserer Überzeugung aus Verfassungsgründen definitiv nicht!

Nämlich wegen der darin liegenden hohen Eingriffsintensität in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG bzw. Art. 30 Sächsische Verfassung, das selbstverständlich auch für Menschen gilt und von Menschen beansprucht werden kann, die zu dem betreffenden, oben genannten Personenkreis gehören.

  • 5 Abs. 7 der Unterbringungssatzung in der jetzigen Fassung ist nach unserer Überzeugung bei aller Anerkennung beachtlicher sozial- und ordnungsrechtlicher Aspekte nicht verfassungskonform, mindestens nicht verhältnismäßig.

Die in der Stellungnahme des Dezernates 5 zu unserem Antrag in Bezug genommene Rechtsauffassung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, dass es sich hier nicht um Wohnungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG handele, da diese Räume nur vorübergehend und meist mehreren einander fremden Einzelpersonen zugeordnet seien und deshalb nur in eingeschränktem Maße als privater Rückzugsraum dienen können, teilen wir ausdrücklich nicht.

Zum einen erstreckt sich der jetzige § 5 Abs. 7 eben auch auf Wohnungen für dezentrales Wohnen oder auf Räumlichkeiten in Gemeinschaftsunterkünften, die von schon anerkannten Flüchtlingen oder Migrantinnen und Migranten, Spätaussiedlern oder anerkannten Asylberechtigten bzw. Subsidiärschutzberechtigten genutzt werden; zum anderen ist durch verfassungsgerichtliche  Rechtsprechung längst klargestellt, dass beispielsweise auch Hotelzimmer, ein Zimmer im Studentenwohnheim, im Seniorenheim, im Krankenhaus, selbst ein Gefangenenverwahrraum in der JVA grundsätzlich den Charakter eines geschützten Rückzugsraumes haben. Und in diesem letzten Rückzugsraum, wie es das Bundesverfassungsgericht mal formuliert hat, hat jede und jeder das Recht hat, in seiner Privatsphäre in Ruhe gelassen zu werden. Dies auch, weil das einen sehr starken Bezug zur Menschenwürde hat.

Gerade das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das dem Schutz der räumlichen Privatsphäre vor Eingriffen von staatlichen Stellen dient, stellt ein essentielles Freiheitsrecht dar. Nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 7 in der Änderungsfassung vom 1. April 1998 dürfen Eingriffe und Beschränkungen der in Abs. 1 des Verfassungsartikels normierten Unverletzlichkeit der Wohnung mit Ausnahme der in den Absätzen 35 geregelten besonderen Eingriffskonstellationen nur Zitat: zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden.

Wohl wissend, dass auch andere Bestimmungen in dieser Unterbringungssatzung mindestens in der Reichweite des Verhältnismäßigkeitsprinzips bedenklich sind und nach den Praxiserfahrungen, auf die nicht nur unser Migrationsbeirat aufmerksam macht, einer gewissen Liberalisierung und Modernisierung bedürfen, worüber wir durchaus in dieser Legislatur nochmals sprechen sollten, haben wir uns als einreichende Fraktionsgemeinschaften zunächst auf die Änderung dieser Regelung des § 5 Abs. 7 konzentriert, die in jüngster Zeit auch wiederholt durch verschiedene Medien thematisiert und problematisiert worden ist und gegen die, werden die in dieser Regelung liegenden Ermächtigungen weiter angewandt, entsprechende und vollumfänglich berechtigte Klagen drohen.

Wir sind dankbar, dass das Dezernat 5 in seiner Stellungnahme vom 10.05.2021 zu unserem Beschlussantrag einen den Intensionen des Antrages durchaus gerecht werdenden alternativen Wortlaut für § 5 Abs. 7 der Satzung vorgeschlagen hat, den wir im Ergebnis der Beratung in den Fachausschüssen als Einbringer_innen übernommen haben.

Der heute zur Beschlussfassung vorliegende Änderungsantrag unserer beiden Fraktionsgemeinschaften als Einbringerinnen entspricht also vollumfänglich dem Vorschlag der Verwaltung. Die damit vorgesehene Regelung schafft nach unserer Überzeugung einen vernünftigen und verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Schutz der Wohnung bzw. Unterkunft als letzten Rückzugsraum und den sozial und ordnungsrechtlichen Besonderheiten, die bei diesen Wohnungen und Unterkünften als öffentlich finanzierte Einrichtungen natürlich zu beachten sind.

Wir bitten deshalb um Zustimmung zu diesem Antrag.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.